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  1. »Miniaturen« (2024). A poem. It was first published in the magazine »SALZ – Zeitschrift für Literatur«.































    I
    Wir trinken Kräutertee aus goldenen Tassen, ich betrachte Blumenpresskonstruktionen, öffne und schließe sie, bewundere den handgeknüpften Wandteppich, aus einem Sprung im Türrahmen hast du getrocknete Margariten wachsen lassen, aus gelbgrün-durchsichtigen Murmeln hast du Dekorationswegweiser gemacht. 

    II
    Meine Fußstapfen durchmustern den glitzernden Schnee zwischen uns, wir blicken hinunter auf ein weißgraues Nebelmeer, auf pulvrige Sonnenstrahllinien und wachsende Schattenwürfe, dein ausgestreckter Arm weist vorbei an erstarrten Blättern und Zweigen, weist auf zwei große und fünf kleine Bergspitzen.

    III
    Einem um hundertachtzig Grad gedrehten Körper folgend, sehe ich monochrome Arme und Beine über steinige Meeresküsten klettern, du verharrst neben flimmernden Kathodenstrahlbildschirmen, neben fünfunddreißig Millimeter Filmstills, vor einer rotgesättigten Landschaftsabstraktion.


    IV
    Auf dem Steinboden hockend sortieren wir Keramikerinnerungen zu einem neuen Bild, ich bewege orangerote Schwanzfedern, bewege den gelbspitzen Schnabel hin zu einem weißen Kopf, ein dunkler Punkt markiert das einzige Auge, du löst den Knoten, entfädelst den Flügel von seiner anleinenden Bastschnur. 

    V
    Ich punkterarbeite mit schwarzer Tinte eine Linie, einen Winkel, ein Dreieck, verbinde in deine Hautschichten eintauchend Zeichen zu Familiengeschichten, verbinde sie zu dir bedeutsamen Orten, du beobachtest das Nachfüllen der dreispitzigen Nadel, lässt einen Halbkreis zu einem Spaziergang unter Ahornblättrigen Platanen werden. 

    VI
    Mein Bewegungsrhythmus lässt mich vor dir Raum erfahren, du stehst zwischen zwei rostrot-geschwungenen Wänden, ich betrachte deine das Material abtastenden Finger, betrachte deinen leicht zur Seite geneigten Kopf, warte einige Schrittlängen voraus in einer ellipsenförmigen Stahllichtung.

    VII
    Du reichst mir ausgeblichene Scheren von Steinkrabben, reichst mir gleichklappige Kalkpanzer in orangebraunen Schattierungen, ich fokussiere auf wellige Oberflächen und konzentrische Anwachslinien, befühle Wirbel und Schuppen, erahne unsere grabfüßig im nasssandigen Boden verborgenen Zehen.

    VIII
    Du hast linksgängige und rechtsgängige Gehäuse silbermatt lackiert und auf Kartonagen zum Trocknen platziert, ich identifiziere zwischen Grashalmen einen kupfernen Tiger, auf dem Fensterbrett einen gläsernen Krug, ich erfasse, wie du Zitronen halbierst, wie du auf dich fallendes Licht mit einer Messerklinge zurückwirfst.

    IX
    Wir verfolgen aufeinander zuwachsende und zu quecksilbrigen Wasserfäden verschmelzende Regentropfen, vor dir liegt ein aufgeschlagenes Buch, ich erkenne auf den Kopf gestellte Wörter und mathematische Formeln, erkenne Strichzeichen auf Tierknochen und als Lesezeichen eine schwarz-weiß Fotografie.

    X
    Passepartouts umranden langzeitbelichtete Aufnahmen, ich existiere in mehrfachen Posen, existiere formauflösend zwischen glänzend gestrichenen Holzrahmen und schützendem Glas, ich nehme wahr, wie wir uns stillstehend spiegeln, wie dein Blick an einer festgehaltenen Drehbewegung haften bleibt.

    XI
    Wir sind eingerahmt von schuppenförmigen Blättern und pelzigen Blütengebilden, auf moosbewachsenem Untergrund fußballspielst du mir einen Ball zu, ich bemerke über einen Ast hängende Jacken, am Boden liegende Fahrräder, bemerke den zu einem dornenbestickten Wildbirnbaum führenden Trampelpfad.

    XII
    Du hast durch Flächenätzung Stillleben in einem undefinierten Raum voller Halbtöne geschaffen, ich erkenne nebeneinander zu einem tiefen Schwarz kombinierte Papiere, registriere, wie du einen Bleistift zwischen deinen Fingern drehst, wie du deinen Namen und die Jahreszahl im unteren rechten Eck notierst.

    XIII
    Wir sitzen an einem runden Eisentisch mit drachenviereckig gestanzten Mustern, ich fülle Kästchen mit summierten Augen von blauen Würfeln aus, schaue auf die in deinem Schoß ruhende Katze, du zerzaust kraulend, glättest streichelnd das dreifarbig schattierte Fell, du betrachtest Ledernähte und Filzstrukturen.

    XIV
    Wir stützen unsere Ellbogen auf der Holzbanklehne ab, beobachten Tauben, die ihren smaragdfarbenen Hals tanzend bewegen, sehen einen sandigen Kiesweg vor einem weitmaschigen Rautenzaun, sehen schwarzgefiederte Vögel, die sich über den grünbraunen Fluss schwebend mit Bäumen zusammenspiegeln.

    XV
    Wir entdecken auf Regalböden Archiviertes, finden Schleifpapier und einen Schuhkarton voller Buntbartschlüssel, du befestigst transparente Nylonfäden an den Reiten, ich öffne eine Schranktür, öffne den Verschluss einer Schatulle, lege eine Kleinbildkamera und Filmpatronen auf die marmorne Fensterbank.